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Von 0 auf 100 und zurück auf 0 - in 54 Jahren!

Entwicklung der Judo-Hochschulgruppe der Philipps-Universität Marburg

In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts fand die fernöstliche Kampfsportart die ersten begeisterten Anhänger in Deutschland und es wurde der erste Judoverein in Frankfurt gegründet.  

Nach dem 2. Weltkrieg erst verboten, erfuhr der Judosport dann in den 60er Jahren größere Verbreitung und wurde 1964 erstmalig auch olympische Disziplin.

Auch die Judo-Hochschulgruppe der Universität Marburg entstand in dieser Zeit: 1961 kam der französische Austauschstudent Alain Cartigny an die Philipps-Universität und unterstütze durch seine Kenntnisse wesentlich den Aufbau einer Judo Abteilung im Hochschulsport. Er leitete die ersten Trainings und konnte schon bald eine feste Gruppe eifriger Studenten zum regelmäßigen Mitmachen gewinnen. Übrigens: dieser französische Student wurde später Professor für Judo-Trainingslehre am Sportinstitut der Universität Angers, Trainer der französischen Damen Judo-Nationalmannschaft und lebte mehr als drei Jahre auch in Japan zu weiteren Studien des Judosports. Zwei seiner Schülerinnen hat er von den ersten Anfängen bis zum Gewinn der Weltmeisterschaft geführt.

In den 70er Jahren hat die Marburger-Hochschulgruppe erste große Erfolge auf nationaler Ebene zu verzeichnen. Brigitte Lau wurde mehrfache Deutsche-Hochschulmeisterin im Schwergewicht. Seit dieser Zeit besteht auch der sportliche Kontakt zur Universität Helsinki, dessen jährlicher Austausch mit den finnischen Judoka bis heute fortbesteht.

In den 80er Jahren setzte sich die Aufwärtsentwicklung im Judo-Hochschulsport fort. In Marburg wurden 1982 die Deutschen Judo-Hochschul-Einzelmeisterschaften mit über 400 Teilnehmern und 1984 die Deutschen Judo-Hochschul-Mannschaftsmeisterschaften mit 22 Teams aus allen Teilen der Bundesrepublik durchgeführt. 

Diese großen sportlichen Ereignisse wurden von der homogenen Marburger-Judogruppe nicht nur organisatorisch bravourös gelöst, auch der 3. Platz von Karsten Freyer in der mit über 80 Teilnehmern stärksten Gewichtsklasse bis 71 kg brachte ein hervorragendes Ergebnis. Die Bedeutung, die den Meisterschaften 1984 in Marburg beigemessen wurde, konnte man an der Anwesenheit von Judo-Bundestrainer Han Ho San, sowie dem Präsidenten des Deutschen Judobundes Prof. Dr. Klaus Schulze, ablesen. 

1986 konnte die Marburger Frauenmannschaft bei den nationalen studentischen Titelkämpfen in Heidelberg einen guten 3. Platz erkämpfen.

Kein Wunder, leitete zu dieser Zeit doch der Humanbiologie-Student Steffen Stranz in Marburg das Wettkampftraining. Dieser Marburger Judoka wurde von 1982 – 1987 in Folge Deutscher Meister bis 71 kg, belegte bei den Weltmeisterschaften 1983 und 1985 jeweils den 3. Platz und startete 1984 und 1988 auch bei den olympischen Spielen. Um seine Trainingsmöglichkeiten in Marburg an der Universität zu inspizieren, stattete auch der damalige für ihn zuständige Bundestrainer Heiner Metzler dem Judo-Hochschultraining einen Besuch ab und leitete eine Trainingseinheit für alle studentischen Judoka.

Internationale Kontakte bekam die Marburger Judogruppe durch die Möglichkeit, den gegenseitigen Besuch von Mannschaften des Hochschulsports der Uni Marburg mit der Universität Belgrad im Jahre 1987 fortzuführen. So reiste ein 8-köpfiges Judoteam für eine Trainingswoche nach Belgrad und konnten dann 1989 die jugoslawischen Judoka in Marburg begrüßt werden. 

Doch nicht nur für die großen sportlichen Erfolge wurde in Marburg in dieser Zeit ein Trainingsangebot geschaffen, auch die Breitensportler und „Späteinsteiger“ fanden ein attraktives Programm das seit 1984 über viele Jahre in dem großen „Marburger Uni-Freundschaftstreffen“ im November seinen Höhepunkt fand. Dabei waren für ein Wochenende bis zu 100 Gäste vom Gelbgurt bis zum Schwarzgurt von verschiedenen deutschen Universitäten auf der Marburger Tatami, um sich ohne Wettkampfdruck kennen zu lernen und freundschaftlich miteinander zu trainieren.  

1993 belegte die Damenmannschaft aus Marburg erneut einen guten 3. Platz bei den Deutschen Hochschulmeisterschaften in Potsdam. 

1995 endlich kam dann auch der lang ersehnte Kontakt vieler Judoka mit Japan, dem Mutterland des Sports, zustande. Auf Einladung der Universität Marburg konnte Yoshimi Masaki, Cheftrainer der Partneruniversität Tenri, für vier Monate nach Marburg verpflichtet werden. Herr Masaki, Weltmeister des Jahres 1984 in der Allkategorie, konnte sein Können anschaulich vermitteln, wurden ihm doch in Marburg dankenswerterweise auch zwei Dolmetscher zur Seite gestellt.

Ein weiteres erfolgreiches Kapitel hatten auch die sehgeschädigten Judoka im Marburger Hochschulsport geschrieben. Als ständige Partner im alltäglichen Übungsbetrieb waren sie Teil der Trainingsgemeinschaft und profitieren von den vielfältigen Möglichkeiten im Hochschulsport. Dadurch unterstützt wurde Michael Esser 1995 Weltmeister der Sehgeschädigten in der Klasse bis 71 kg und konnte die Nationalmannschaft 1998 einen hervorragenden 3. Platz bei den Mannschafts-Weltmeisterschaften belegen. Im siebenköpfigen Team standen dabei fünf Judoka der Universität Marburg. Im Jahr 2001 belegte Thomas Dahmen bei der Weltmeisterschaft in Ufa einen 2. Platz und 2002 wurde Michael Esser erstmalig internationaler Deutscher Meister.      

Die nächsten Erfolge ließen nicht lange auf sich warten, 2006 belegte Sam Setoodeh den 3. Platz bis 66 kg bei den Deutschen Hochschul-Einzelmeisterschaften und nur 2 Jahre später gelang auch Robert Müller bis 81 kg diese Platzierung bei den Deutschen Hochschul-Einzelmeisterschaften. Die internationalen Kontakte wurden in dieser Zeit erweitert durch die Teilnahme von Judoka aus Cambridge an den Freundschaftstreffen zwischen Marburg und Helsinki.

Einen ersten Dämpfer bekam diese über mehrere Jahrzehnte anhaltende Hochphase des Judosports an der Universität Marburg durch erste Kürzungen der Trainingszeiten. Konnte die Judogruppe bei 5 Trainingszeiten pro Woche ihr Potenzial ausschöpfen, so wurden seit 2008 scheibchenweise die Trainingszeiten im Hochschulsport reduziert. Da immer mehr neue Trendsportarten aufkamen mussten die begrenzten Hallenkapazitäten anders aufgeteilt werden und so reduzierte sich das Judoangebot erst auf 4, dann auf 3 und schließlich auf 2 Trainingszeiten pro Woche.          

Bis zu diesem Zeitpunkt (2013) trainierten über 50 Jahre lang in Marburg alle erwachsenen Judoka im Hochschultraining, ganz gleich, ob sie Studierende waren, Ex-Studierende oder berufstätig waren. Durch einen schweren Sportunfall an einer anderen deutschen Universität wurde aus versicherungsrechtlichen Gründen diese Möglichkeit, miteinander zu trainieren, u. a. in Marburg abgeschafft und somit waren plötzlich alle externen Judoka vom Hochschultraining ausgeschlossen.

Dies führte zu einem merklichen Rückgang der Teilnehmerzahlen im Judo-Hochschulsport und es wurden dann im WS 2014/15 die Mindestteilnehmerzahlen in den beiden Trainingszeiten nicht erreicht. Dies wiederholte sich im SS 2015 und als Konsequenz wurde das Judoangebot im Marburger Hochschulsport komplett eingestellt und ein 54 Jahre lang existierendes Sportangebot beendet.

Die Judoabteilung Sportfreunde Blau-Gelb Marburg hatte seit 2004 das inklusive Training für Kinder und Jugendliche an der blista wieder belebt und es konnten dort auch direkt freie Trainingszeiten für die jetzt „heimatlosen“ erwachsenen Judoka bereitgestellt werden. So ergab sich zum Glück ein lückenloser Wechsel des Judo-Trainingsangebotes vom Hochschulsport zum Vereinssport der Judoabteilung.

Seitdem kommen alle Judobegeisterten Studierenden zum Vereinstraining und finden hier ihr neues sportliches Zuhause! Mehr als 40 Studierende sind aktuell im Verein gemeldet und trainieren bis zu 3 x pro Woche gemeinsam mit allen erwachsenen Judoka des Vereins. 

Das diese Trainings auch die erfolgreiche Tradition des Hochschulsports fortsetzten, sieht man auch daran, dass der Marburger Medizinstudent Sidney Mai sowohl 2022 als auch 2023 jeweils den 3. Platz bis 100 kg bei den Deutschen Hochschul-Einzelmeisterschaften belegte und in 2024 den 1. Platz für sich sichern konnte. Herzlichen Glückwunsch!

Text Stand Januar 2025, Fortsetzung folgt…