Historie der Judo-Abteilung Sportfreunde Blau-Gelb Marburg e.V.
Die ersten Judo-Anfänge in Deutschland
Etwa im Jahre 1880 entwickelte der japanische Professor und Lehrer Jigoro Kano eine neue KampfsportDisziplin für seine damaligen Schüler. Einen „sanften Weg“ (japanisch: JU-DO) wollte er, auf dem körperliche, geistige, persönliche und soziale Fähigkeiten entwickelt und gefördert werden. Die Techniken sollten keine gefährlichen Elemente wie etwa Tritte und Schläge enthalten und dennoch effektive Selbstverteidigung ermöglichen. Diese fernöstliche Kampfsportart fand in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts die ersten begeisterten Anhänger in Deutschland, und es wurde der erste Judoverein in Frankfurt gegründet. Nach dem 2. Weltkrieg erst verboten, erfuhr der Judosport in den 60er Jahren größere Verbreitung und wurde 1964 erstmalig auch olympische Disziplin.
Das erste Judo-Angebot in Marburg
Auch in Marburg etablierte sich der Judo-Sport in dieser Zeit: 1961 kam der französische Austauschstudent Alain Cartigny an die Philipps-Universität und gründete erstmals eine Judo-Gruppe im Hochschulsport. Er leitete ein Jahr lang das Training und konnte schon bald eine handvoll eifriger Studenten zum regelmäßigen Mitmachen gewinnen. Übrigens: dieser französische Student wurde später Dozent für Judo-Trainingslehre am Sportinstitut der Universität Angers, Trainer der französischen Damen Judo-Nationalmannschaft und lebte mehr als drei Jahre auch in Japan zu weiteren Studien des Judosports. Zwei seiner späteren Schülerinnen hat er von den ersten Anfängen bis zum Gewinn der Weltmeisterschaft geführt.
Schon Mitte der 60er Jahre wuchs diese aktive Gruppe der Judoka stark an und nahm auch erfolgreich unter Heiner Sauer als Trainer und Kämpfer an ersten Studentenmeisterschaften teil. Parallel dazu gab es auch schon eine Judo-AG an der Steinmühle und erste Aktivitäten mit Kindern und Jugendlichen.
Offiziell wurde dann am 16.10.1968 die Budo-Abteilung Blau-Gelb Marburg beim Landessportbund Hessen angemeldet und verzeichnete in der Sparte Jiu Jitsu schnell über 150 Mitglieder unter der Leitung von Jürgen Ortmann. Ein verhängnisvolles Missverständnis führte jedoch nur wenige Jahre später zum Eklat mit dem Hauptverein, und die Budo-Abteilung „als Stütze des Vereins“ (Zitat Vorstandsvorsitzender 1971) verlor ‚über Nacht’ alle Mitglieder.
Blau-Gelb Judo in Kooperation mit Blista und Universität
Ende der 70er Jahre wurde der Judosport in Marburg von dem Studenten Henning Lübbe auch an der Blista eingeführt. Als er die Traineraufgabe dort an den Judoka und Sportlehrer Peter Breul übergab, erweiterte dieser die Initiative und belebte im September 1981 die Judo-Abteilung bei Blau-Gelb als Teil der BlistaTrainingsgruppe neu. Seit dieser Zeit ist das kooperative und integrative Judo-Training von sehgeschädigten und normal sehenden Judoka der Blista und der Judo-Abteilung Blau-Gelb Marburg eine tragende Säule der Abteilungsarbeit. Die Mitgliederzahl stieg stetig auf 140 Judoka an. Es entwickelte sich eine kleine aber leistungsstarke Jugend - Wettkampfgruppe die Ende der 80er Jahre u.a. mehrere Bezirksmeister-Titel erringen konnte.
Noch eine weitere Kooperation wurde durch den Blau-Gelb Vereinstrainer Peter Breul in den 80er Jahren intensiviert: Konnte die Blau-Gelb Judo-Abteilung erfolgreich das Training für Kinder und Jugendliche anbieten, so war der Judo-Sport für Erwachsene fest im Hochschulsport der Uni etabliert. Hier ermunterte er seine älteren, erfahrenen Schützlinge - egal ob sehgeschädigt oder sehend – am normalen Unitraining teilzunehmen, um sich so weiter entwickeln zu können. Dies hat neben viel Schweiß auch weitere Erfolge nach sich gezogen, leitete zu dieser Zeit doch der Humanbiologie-Student Steffen Stranz an der Uni das Wettkampftraining. Dieser Marburger Judoka wurde von 1982 – 1987 sechs Mal in Folge Deutscher Meister bis 71 kg, belegte bei den Weltmeisterschaften 1983 und 1985 jeweils den 3. Platz und startete 1984 und 1988 auch bei den olympischen Spielen.
Kontakte mit Japan
1995 endlich kam dann auch der lang ersehnte Kontakt für die Marburger Judoka mit Japan, dem Mutterland des Sports, zustande. Auf Einladung der Universität Marburg konnte Yoshimi Masaki, Cheftrainer der Partneruniversität Tenri, für vier Monate nach Marburg als Judo-Trainer im Hochschulsport verpflichtet werden. Herr Masaki, mit 150 kg Körpergewicht Weltmeister des Jahres 1983 in der Allkategorie, konnte sein Können anschaulich vermitteln. Dankenswerterweise wurden ihm auch zu diesem Zweck zwei Dolmetscher zur Seite gestellt. Nachzutragen ist, dass Herr Masaki seit dem Jahr 2000 als japanischer Nationaltrainer tätig ist und hier speziell für die Schwergewichte verantwortlich ist. Liegt nun auch seine Tätigkeit in Marburg schon viele Jahre zurück, so gibt es dennoch weiterhin persönliche Kontakte zu ihm, - so haben schon mehrere Blau-Gelb Judoka die Gelegenheit zu einem Gegenbesuch in Japan genutzt.
Die größten Wettkampferfolge
Auf diesem breiten Fundament formierte sich im Jahr 1991 erstmals auch eine Blau–Gelb Männermannschaft, die in der Kreisliga begann, auf Anhieb den zweimaligen Aufstieg über die Bezirks- in die Landesliga schaffte, und von 1996 – 1999 in der Oberliga kämpfte. Die größten Erfolge dauerten noch einmal 10 Jahre, dann gelang 2008 erneut der Aufstieg in die Oberliga, hier dann sogar 2009 der Durchmarsch in die Regionalliga und dort 2010 auf Anhieb der Vizemeister-Titel! Leider zerbrach die Mannschaft schon ein Jahr später und es brauchte bis 2015, bis wieder eine Mannschaft aktiv wurde und seitdem konstant in der Landesliga mitkämpft.
Die Kooperation zwischen Blau-Gelb-, Blista- und Unitraining hat auch ein erfolgreiches Kapitel für die sehgeschädigten Judoka eröffnet. Im Jahr 1988 wurde die Sehbehinderten – Nationalmannschaft ins Leben gerufen. Ab 1991 stellten sehgeschädigte Judoka aus Marburg über 10 Jahre lang immer die Mehrzahl der Kaderathleten. Diese „Marburger-Truppe“ holte bis 2006 regelmäßig zahlreiche Medaillen bei Deutschen-, Europa- und Weltmeisterschaften. Als aus dieser „Erfolgsstory“ herauszuhebende Erfolge sind insbesondere zu nennen: Michael Esser wurde als Blau-Gelb Mitglied 1995 Judo-Weltmeister der Sehgeschädigten in der Klasse bis 71 kg und es konnte 1998 die Sehgeschädigten- Nationalmannschaft einen hervorragenden 3. Platz bei den Mannschaftsweltmeisterschaften belegen. Im siebenköpfigen Team standen dabei fünf Judoka von Blau-Gelb. Im Jahr 2001 belegte Thomas Dahmen bei der Weltmeisterschaft in Ufa einen 2. Platz. Verschiedene Starts bei den Paralympics konnten ebenfalls verbucht werden, auch wenn diese nicht mit Medaillengewinnen gekrönt wurden.
Der Neuaufbau
Einen herben Rückschlag erlitt die Vereinsarbeit im Jahre 1997: Damals trennte sich der damalige Trainer „über Nacht“ von Blau-Gelb Marburg und überführte im Handstreich fast alle Mitglieder und die wichtigen Trainingszeiten in seinen neu gegründeten Judoverein.
Erst im Jahr 2004 gelang der Wiederaufbau der Blau-Gelb Kinder- und Jugendabteilung erneut als Folge eines Kooperationsprojektes mit und an der Blista. Diesmal wurde aus einem speziellen Sehbehindertentraining, das seit 2002 unter der Leitung des Judoka Matthias Roth stand, ein Angebot auch für „nichtbehinderte“ Kinder und Jugendliche entwickelt.
Seit dieser Zeit steigt die Mitgliederzahl der Judoabteilung kontinuierlich an. Gab es lange Zeit “nur” das inklusive Trainingsangebot für Kinder und Jugendliche im Verein, liegt seit 2015 auch das Marburger Erwachsenentraining ganz in Händen des Vereins, da die Uni-Marburg zu dieser Zeit das jahrzehntelange Angebot ‘Judo im Hochschulsport’ beendet hat.
Auch Corona hat der steigenden Mitgliederentwicklung keinen Dämpfer geben können und so tummeln sich heute (Stand Januar 2025) über 200 Judoka auf der Marburger Matte im Alter von 04 - 75 Jahren!
Die aktuelle Situation
Aktuell bietet somit die Judoabteilung ein breites Trainingsangebot für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Bei den Trainingsstunden für die Altersgruppen bis 8 Jahre geht es dabei vornehmlich um das Ziel, sehr spielerisch und mit vielen turnerischen Elementen den Kindern Spaß an der Bewegung und am Umgang miteinander zu ermöglichen. Dabei steht der Erwerb von altersgerechten, motorischen Fähigkeiten im Vordergrund. Die Kinder lernen spielerisch Verantwortung zu übernehmen und Vertrauen zu erfahren im Umgang mit sich, einem Partner und innerhalb einer Übungsgruppe, - sie entwickeln Freude an der fairen kämpferischen und spielerischen Auseinandersetzung mit anderen. Besonderes Augenmerk liegt dann auf der schrittweisen Vermittlung von gefahrlosem und angstfreiem „Fallen“ auf der Judomatte. Dabei wird die Motorik in besonderer Weise gefördert, das Erlernen von Körperkontrolle und die Wahrnehmung des eigenen Körpers stellen einen wichtigen Beitrag zur gesunden Entwicklung der Kinder dar.
Bei den Trainingsstunden für die nächst älteren Kinder (8 - 12 Jahre) beginnt dann die Hinführung zu den effektiven Judotechniken im Stand und am Boden. Ebenso erfolgen weitere Qualifikationen durch das Erlangen neuer Gürtelgrade und erste Teilnahmen an Turnieren, auf denen das körperliche Messen ("Kämpfen") mit einem Partner immer ein soziales Miteinander darstellt. Mit zunehmendem Alter und wachsender Erfahrung wird das Repertoire um komplexere Bewegungsabläufe erweitert und auch echte Wettkämpfe erprobt. Auch für fortgeschrittene Judoka oder „Meister“ gibt es immer wieder neue Techniken, mit denen sie sich konfrontieren und auseinander setzen können. So hört der Prozess des Erlernens und Anwendens von Judo – Techniken letztlich nie auf. Dieses ist ein weiterer Grund, warum nicht selten auch Menschen im höheren Alter von 60 oder 70 Jahren noch aktiv Spaß an dieser vielseitigen Sportart haben.
Als Neuling kann man auf der anderen Seite jederzeit in den Judosport einsteigen. Auch wenn der Großteil der Aktiven im Schulalter ist, so kann man es doch auch als Erwachsener noch mit Freude bis zum Schwarzgurt (Meistergurt) schaffen und erfolgreich Judo lernen. Auch das Geschlecht spielt keine Rolle, beim Judo trainieren Jungen und Mädchen ebenso zusammen wie Männer und Frauen.
Nun zu den Verantwortlichen: Der Trainerstab umfasst eine Reihe judospezifisch und pädagogisch qualifizierter Frauen und Männer. Von denen sind zwei Inhaber der Trainer A-Lizenz, womit selbst Bundesliga-Teams trainiert werden könnten. Weitere Trainer B- und Trainer C-Lizenzen sind bei Vereinsmitgliedern vorhanden. Neben dem Vorstand der Judoabteilung, der zusammengerechnet schon über 150 Jahre Judo - Erfahrung einbringt, lässt sich das bemerkenswerte Judo-Potential des Vereins auch an den besonders hohen Graduierungen einiger Mitglieder fest machen. So kann sich Marburg mit einem Träger des 6. Dan, zweimal 5. Dan und dreimal 4. Dan weit über die Stadtgrenzen hinaus sehen lassen. Insgesamt ist es also eine überzeugte, aktive und judosportbegeisterte Gruppe, die ihre Erfahrungen, Überzeugungen und Freude an dieser Sportart weitergeben und verbreiten möchte.
Ein Wermutstropfen aber bleibt: Die Trainingsmöglichkeiten für alle Judoka, egal welche Gruppe man herausgreift, sind ausgeschöpft und räumlich und zeitlich begrenzt - die vielfältig gegebenen Entwicklungspotenziale der Judoabteilung stoßen schon lange an enge Grenzen und benötigen dringend besserer und breiterer Entfaltungsmöglichkeiten. (Stand Januar 2025)